Immer wieder montags kommt hier ein Mann zu Wort: lest wie es Gastautor Phil weiterhin erging:
Das Kind ist da oder …
Codename: “Spontanitätskiller”
Bereits während der Schwangerschaft vergeht die Zeit der baldigen Eltern wie im Flug. Ein Grund dafür sind die Unmengen an Vorbereitungen, wie beispielsweise der Besuch von Geburtsvorbereitungskursen, die die baldigen Eltern für ihren Zuwachs treffen müssen. Schon in dieser Situation wird klar, dass der Faktor Zeit ein zunehmend rares Gut wird, dass es für den nahestehenden Kumpel auf das schärfste zur verteidigen gilt.
Dem hilfesuchenden Gefreiten bleiben zwei Möglichkeiten zur Sicherstellung des bislang geliebten Territoriums. Erstere inkludiert das recht zweifelhafte Vorgehen zusammen mit Mama und Papa besagte Kurse zu besuchen. Die Vorteile liegen auf der Hand: Zum einen wird das bisherige Maß an mit den Eltern verbrachte Zeit problemlos aufrechterhalten. Zum anderen findet man(n) bei der Beschreitung diesen Weges Zugang zu einem neuen Themenfeld und kann sich so zusätzlich schon auf den etwaigen Ernstfall vorbereiten – wenn das mal keine attraktive Tätigkeitsbeschreibung ist.
Und dennoch: Die Vorstellung, Seminare wegen eines Nachwuchses zu besuchen, der nicht der eigene ist, kann leicht verstörende wirken. So auch in meinem Fall, weshalb ich bei der Verteidigung meines Terrains auf den zweiten Weg und damit auf einen alten, aber treuen, Bundesgenossen setzte: Spontanität und deren absolute und notwendige Existenzberechtigung auf unserer Welt.
Spontanität hat in der Gesellschaft ihren festen Platz.
Sei es in der Arbeitswelt im Zusammenhang mit unerwarteten Aufgaben oder im Privatleben in Form des nächtlichen Anrufs eines Kumpel mit der Frage nach einem Bier: Spontanität wird unserer Gesellschaft täglich gelebt und erwartet – warum diese gesellschaftliche Haltung nicht auch zum eigenen Vorteil nutzen?
Ein entsprechende Frage bei der baldigen Mutter, wo denn ihre Spontanität hin sei und dass sie noch viel, ja sehr viel zu jung sei, um diese über Bord zu werfen, wirkt da Wunder. Schon öffnet sich dem mutigen Gefreiten ein großzügig bemessenes Zeitfenster, in dem die baldige Mama mit 110 prozentiger Aufmerksamkeit glänzt. Gleichzeitig zeigt sich das Gegenüber ob diesen zusätzlichen Freizeitkonsums in keiner Weise gestresst. Vielmehr konnotiert sie den zusätzlichen Zeitverlust als Symbol für den Erhalt ihrer immerwährenden Jugend. Fazit: Das Schlachtfeld ist gesichert, alle Parteien haben sich die Hände gegeben und die Welt ist von Null auf Hundert zu einem in jeder Hinsicht besseren Ort geworden, inklusive des obligatorischen Regenbogens.
Mit der Geburt des Kindes wird der einstmals so schillernde Regenbogen jedoch auf brutalste Weise zerrissen . Denn schnell wird klar, dass der Neuankömmling nicht nur klein und niedlich ist sondern auch mit Erfolg das Ziel verfolgt, sämtliche Spontanität im Leben seiner Eltern ratz fatz zu eliminieren. Nix mehr Regenbogen und Villa Kunterbunt! Stattdessen gibt es nur noch ein düsteres grau, das die Welt umfasst. Und auch um die bisher so hochgepriesene Spontanität steht es nun schlecht: Stand der geliebte Bundesgenosse eben noch neben mir ist er nun verschwunden. Einfach so. Kein Abschiedsbrief, kein Anruf. Weg. Als ob es ihn nie gegeben hätte. Sie können sich meine Verwunderung vorstellen.
Aus Verwunderung wird blankes Entsetzen, ist erst realisiert, dass mit dem Verlust der Spontanität auch das bislang sicher geglaubte Territorium Zeit verschwunden ist. Ein kurzer Kaffee, ein schnelles Telefonat oder ein langfristig angelegter Abend in der Stadt: passeè. Stattdessen zählt nur noch der kleine Fratz, der – obwohl noch weit entfernt von den ersten Ein- und Zweiwortäußerungen – seine Erzeuger bereits gut im Griff hat. Da hilft auch der Verweis auf die Bewahrung der Jugend nichts mehr. Scheinbar mühelos wird das einstmals schwere Geschütz mit dem Satz „Ich bin jetzt eben alt“ in seine Atome pulverisiert. Fazit: Die Schlacht ist vorbei, ein Händeschütteln gibt es nicht, dafür aber einen fröhlich quietschenden Sieger. Depression pur – dafür bleibt schließlich jetzt reichlich Zeit.
Gleichwohl ist nur eine Schlacht und nicht gleich der ganze Krieg der verloren geht. So könnte man zumindest denken und selbiges scheint sich auch mit zunehmender Zeit zu bestätigen. Denn mit voranschreitenden Wochen zeigt sich, dass der kleine Racker eine offenkundige Schwachstelle hat, gegen die er beim besten Willen nur bedingt ankommen kann: Seine nur bedingte Artikulationsfähigkeit. Diesen Vorteil gilt es zu nutzen, wenn es an das Wiedererstreiten des ehemaligen Herrschaftsbereichs geht. Die Methode dafür: Dezidierte Planung.
Es zeigt sich schnell, dass nach dem Eintreffen des Famlienzuwachses Planung – ganz wie bei älteren Menschen – eine immer wichtigere Rolle einnimmt. Ein spontaner Kaffee funktioniert nicht? Dann machen wir eben für kommenden Monat bei Sonnenaufgang einen Termin aus. Abendliches um die Häuser ziehen ist grade schwierig? Kein Ding, dann planen wir das einfach schon einmal für das nächste Jahr. Auch wenn diese Methode von einem Spontanität liebenden Menschen unvorstellbare Anstrengungen abverlangt ist sie dennoch effektiv, denn das kleine Bündel kann zwar viele Laute von sich geben, ein kompletter grammatikalisch korrekter Satz wie „An dem Tag will ich aber mit Mama spielen“ gehört noch nicht dazu. Spiel, Satz und Sieg…theoretisch.
Denn praktisch gesehen funktioniert die Kommunikation zwischen dem neuen Chef der Familie und seinen Versorgern auch nonverbal bestens. Da kann der tolle Plan mit dem Weggehen seit geraumer Zeit stehen: Ist der junge Herr kränklich, müde, sauer oder vermisst die Actionfigur der Cornflakes-Packung wird das sofort und mit akustischem Nachdruck kund getan und die beiden Hauptangestellten müssen notgedrungen absagen. Und damit ist auch das letzte bisschen Hoffnung und der damit einhergehende Krieg sang- und klanglos verloren, ohne dass es von der Gegenseite auch nur den Hauch von Anstrengung bedarf. Einfach verrückt – und gleichzeitig höchst anerkennenswert. Denn wer das Leben seiner Eltern so drastisch auf den Kopf stellen kann hat es wohl verdient, deren immerwährendes Zentrum zu sein. Dass der kleine Kerl sich darüber hinaus sogar meinen Namen gemerkt hat zeigt zudem, dass er mich, trotz der eindeutigen Überlegenheit, wohl als echte Herausforderung anerkannt hat. Schon steigt das Ego wieder.
Letzten Endes ist zu sagen, dass mit zunehmenden Jahren in der Regel eine gut fungierende Koexistenz zwischen Sieger und Besiegten eintritt, die es letzterem erlaubt in regelmäßigen Abständen auf Mama und Papa zeitlich Zugriff zunehmen. Damit einher geht dann auch das Wiedertauftauchen eines fast schon vergessenen Freundes, der wieder etwas mehr an Einfluss auf die Zielpersonen gewinnt. Aber trotz aller eintretenden Spontanität: Alt bleibt das glückliche Elternpaar natürlich trotzdem in meinen Augen – auch wenn das in ihrem Fall alles andere als schlecht ist.
Fortsetzung folgt…
Der Autor:
Lest jeden Montag auf dem Babykeks-Blog, wie ein “kinderloser” Freund die Schwangerschaft seiner besten Freundin “verarbeitet”
2) Das große Weinen…oder Verletzlichkeit einer Unverletzlichen